Niclas Beikirchs filmreife Geschichte

Eigentlich viel zu kitschig...

05. Oktober 2021, 12:00 Uhr

Der Freiensteinauer Fußballer Niclas Beikirch war mehr als zwei Jahre verletzt. Dann schoss er am Freitag das Siegtor bei der SG Oberzell/Züntersbach. Foto: wundertoll / Yannick Eisenhuth

Chloé Zhao hat in diesem Jahr für die Regie im Drama „Nomadland“ den Oscar gewonnen. Ob sie Niclas Beikirch kennt? Eher nicht. Will sie mal das Genre wechseln und eine kitschige Fußballgeschichte verfilmen, sie sollte den Freiensteinauer unbedingt kontaktieren. Denn Beikirch kann Geschichten erzählen, die ganz nach Geschmack der Filmemacher in Hollywood sein dürften. Erst ganz viel Drama, dann ganz viel Kitsch.

Aber der Reihe nach: Im Winter 18/19 wurde bei Beikirch ein Knorpelschaden im Knie diagnostiziert. Weil die SG Freiensteinau zu dieser Zeit in der Kreisoberliga Süd drauf und dran war, den Meistertitel zu erringen, entschieden Verein, Ärzte und Beikirch, mit der Behandlung bis nach Saisonende zu warten. Der Sechser war unverzichtbar in dieser Saison, spielte 28 von 30 Spielen, gewann mit der SGF den Titel und anschließend gar noch den Kreispokal. Ende Mai 2019 war das, dann wollte er sich um sein Knie kümmern.

Er entschied sich zunächst für eine konservative Therapie und verzichtete auf einen Eingriff. Doch die erhofften Fortschritte ließen auf sich warten. Das Knie und die Muskulatur arbeiteten nicht wie erhofft mit. Ein halbes Jahr verging. Verschenkte Zeit, wie sich im Winter 20/21 herausstellte. Also doch unters Messer. Die Operation erfolgte im Januar 2021. Rund ein Jahr nachdem die Diagnose gestellt worden war.

Zumindest die Operation verlief problemlos. Doch dann begann die zweite Leidenszeit. Das Knie wurde arretiert, die Schiene ließ zunächst keinerlei Bewegung zu. Im 2-Wochen-Rhythmus wurde die Schiene gelockert, als er sie schließlich abnehmen durfte, war von der Oberschenkel-Muskulatur nichts mehr da. Der Gang zur Physiotherapie, mehr als 100-mal stand dieser binnen eines Jahres an, half dem 29-Jährigen wieder auf die Beine zu kommen. Mit vielen Extraschichten kämpfte er sich an das Team heran, stieg Mitte August ins Mannschaftstraining ein, scheute da aber noch jeden Zweikampf. Nicht mal einen Monat später ist er nun wieder voll integriert ins Training unter Reinhold Jessl. Bis nach der Winterpause, so glaubt er, wird er aber noch benötigen, um der Alte zu sein. Im defensiven Mittelfeld ist Zweikampfhärte gefragt, die er noch nicht liefern kann.

"Der Abend war recht teuer für mich, aber die Runden habe ich gern gezahlt"

Dennoch dachte Jessl am Freitagabend, dass der richtige Zeitpunkt für die ersten Einsatzminuten gekommen sei. Er rief Beikirch beim Stande von 2:2 zu sich. Der Defensivspieler sollte ab Minute 87 mithelfen, den Punkt mitzunehmen. Doch es kam besser: Kevin Stribrny legte sich das Leder zurecht, flankte auf den langen Pfosten, dort stand Beikirch ziemlich frei und nickte ein. Siegtreffer in der Nachspielzeit. Besser geht’s nicht, kitschiger geht’s nicht.

Oder doch? Die SGF ist drauf und dran, in Kürze in die Playoffs einzuziehen. Der Gruppenliga-Klassenerhalt wäre schon im Oktober geschafft. „Dass es bei uns so gut läuft, überrascht uns manchmal selbst“, sagt Beikirch, der insbesondere Jessls Trainingsarbeit und offensive Spielphilosophie für die positive Entwicklung ausmacht. Wartet da im Sommer die Verbandsliga als Happy End? Das wäre dann wohl sogar für Hollywood zu viel Kitsch.